das Mädchen ohne Namen

Owe Schattauer hat in einer Talkrunde bei KenFM mal etwas sehr Zutreffendes gesagt:

„die Demokratie ist nur für jene Friedensaktivisten beanspruchbar, die nichts weiter sind als ein kleines Loch im Deckel auf dem brodelnden Kochtopf. Die freie Meinungsäußerung ist gut, solange sie den Druck rausnimmt aber schlecht für die Regierung, wenn die Freunde auf Facebook zu viele geworden sind und der öffentliche Faktor der Aufklärung über die wahren Hintergründe zu groß.“

Dann wird schnell das Profil gelöscht, so wie dies bereits vier Mal einem Facebook Freund von mir erging. Und keine Zeitung würde darüber berichten, genauso wie die Zeitung die Friedensfahrt nach Russland ignoriert. Wir sollen alle schön weiter schlafen und an die „Idee“ der Demokratie glauben. Deshalb ist Facebook nur so lang eine Gefahr für die Strippenzieher und Leitungsverwalter, bis diese es nicht mehr kontrollieren können. Doch das tun sie, weil der Zuckerheini unter ihnen ist.

Trotzdem, geben wir nicht auf. Wir, die in Frieden leben wollen. Immer weitermachen. Die Uhr steht fünf vor zwölf. Aufwachen ist die Devise.

Seit einiger Zeit geht bei mir ein Prozess ab. Ich beleuchte viele Themen von vielen Seiten, positioniere mich.

Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass Facebook nur ein begrenztes Instrument für die Vernetzung ist.

Würde ich mehr Menschen erreichen mit dem, was ich bei Facebook schreibe, würden sie mir wahrscheinlich eh früher oder später das Profil löschen. Die Instrumente eines Einzelnen, die Straße zu rocken sind bescheiden, wenn die Masse träge im Sessel klebt.

Gerade habe ich eine Doku über die Retter auf dem Mittelmeer gesehen. Auf Facebook verlor ich heute Abend mein Herz an ein kleines Mädchen, deren Vater getötet wurde. Sie hat ihren Namen vergessen. Und ich kann ihre Augen nicht vergessen. Voller Sprachlosigkeit, ein Lächeln huschte über ihre Wangen. Kurzer Hoffnungsschimmer, weil einmal jemand fragt, wenigstens einmal jemand fragt, ob sie heute schon etwas gegessen hat.

Ich kann nicht einschlafen.

Stünde sie, die keinen Namen trägt, morgen vor mir auf der Straße, würde ich sie sofort mit nach Hause nehmen und alles, was wir haben, mit ihr teilen. Ich würde sie fragen, ob sie sich erinnern kann, ich würde sie solange in den Arm nehmen, bis sie sich erinnern kann, wer sie ist. Und dann würde ich öffentlich machen, dass sie existiert, dass ich nicht zulasse, dass man ihr ihren Namen nimmt! Genau dies ist nämlich geschehen. Die syrische Identität wird ausgelöscht. Diese Menschen werden zu „Flüchtlingen“ versachlicht, anstatt sie wenigstens „die vertriebenen Menschen“ zu nennen, was sie ja eigentlich sind.

Das ist das Sinnbild der westlichen Ignoranz für mich. Wir nehmen mit unseren Waffen den Menschen den Lebensraum und wollen es nicht wissen, wenn sie leiden. Unsere Waffen, nun das könnte man bestreiten, doch jeder von uns profitiert von Geld, das durch Waffenverkäufe erwirtschaftet wurde, von Menschen, die wir gewähren ließen.

Aber ich würde sie wohl nie finden können, wenn ich mich auf die Suche machte, das kleine Mädchen ohne Namen. Wie das kleine Mädchen im roten Mantel in „Schindlers Liste“. Ich würde ihr gern einen Namen geben, doch sie könnte mir nicht sagen, ob sie ihn mag. Drum macht das keinen Sinn.

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Ich kann einfach nicht wegsehen. So oft hat man mir dies geraten. Im Café wird man angepflaumt, wenn man die Themen der Mitverantwortung anspricht. Die Leute sind zynisch und selbstgefällig in ihrer Unfähigkeit, den Tatsachen in die Augen zu blicken. Priviligierte.
Ich ertrage diesen Mitläuferselbstbetrug nicht.

Als Kind las ich ein Buch nach dem anderen, das das Grauen des Nationalsozialismus behandelte.

Schon damals haben mich die Mechanismen der Massen nicht ruhen lassen.

Wie kommt es, dass wir zulassen, dass Kinder sterben? Jeden Tag.

Ich komme einer logischen Konsequenz, die mit dem Herzen in die Lebendigkeit geführt wird, immer näher.

Mein Weg führt raus auf die Straße. Kunst als Spiegel der Gesellschaft. Das heißt nicht, dass die Tasten ruhen werden. Kunst als Spiegel der Gesellschaft. Doch mein kluger Schlussfolgerungen liebender Schädel wird niemals an einen Punkt gelangen, an dem er genug versteht, um von Herzen zu ertragen, was er schon verstanden hat.

Ich werde in die lebendige Revolution gehen und Kunst mit den Leuten teilen, die grad nicht vorm Rechner sitzen.

Und nein, ich frage mich nicht vorher, was ich denn dann dafür kriege, wenn ich das mache!

Ich teile, was ich zu geben habe. Das ist Reichtum und nicht bezahlbar.

Schlaft gut, da draußen.