vom Mitleid und vom Mitgefühl

Es gibt einen Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid.
Das Mitgefühl erschafft Verbindung und einen Raum, den der Leidende leichter betreten und in dem der Leidende Heilung erfahren kann, weil er weniger allein ist mit seinem Leid.
Er geht in Resonanz mit einem Gegenüber, das ihn annimmt.
Das Mitleid aber nimmt diesem Raum die Größe. Der Mitleidende nimmt einen Teil dieses Heilungsraumes ein und versperrt ihn mit der eigenen Präsenz.
Mitleid hilft nicht, Mitleid ist kontraproduktiv.
Außerdem erlebt der Mitleidende eine Emotion, die nicht zu ihm gehört und beraubt sich somit unnötig selbst. Wem nützt es, wenn man die eigene Lebensfreude aufgibt für einen Schmerz, der woanders gefühlt werden muß?
Natürlich kann man auch selbst einen ähnlichen Schmerz kennen. Doch der gehört dann zum eigenen Prozess und muss an einem anderen Ort durchlebt werden, nämlich im eigenen Raum.
Nun kann man diese These auch auf die Selbstliebe übertragen.
Bemitleide ich mich selbst, nehme ich meinem Unbewussten den Raum weg, sich Ausdruck zu verleihen. Ich lege eine Decke aus Gedanken und emotionalen Konstrukten über das Gefühl.
Das Selbst findet kein Mitgefühl durch mein Bezeugen, es wird lediglich bewertet durch meine Glaubenssätze und die Begrenztheit meiner Erfahrungen.
Habe ich aber Mitgefühl mit mir selbst, nehme ich Abstand von dem Konzept meiner Persönlichkeit.
Ich schaue hin, ich gebe Raum und Vertrauen, dass alles, was der Schmerz mir mitteilen möchte, gesehen werden darf.
Selbstmitleid und Mitgefühl für Aspekte, die in meinem Selbst enthalten sind, haben zwei vollkommen unterschiedliche Wirkkräfte.
Ich kann nur werden, wer ich bin, wenn ich beobachte, ohne zu bewerten, was ist.
Wenn ich bemitleide, bewerte ich und sehe auch herab auf diesen Aspekt, der mir klein und schwach erscheint.
Wenn ich mitfühle, bezeuge ich und nehme an.
Dann bin ich auf Augenhöhe.
Und dann sehe ich auch die Stärke und die Kraft hinter dem Schmerz.
Hier beginnt die Achtung vor mir selbst und auch die Achtung vor den anderen.
Jeder von uns verdient diese Achtung.
– Lina Hawk –