G20 Demonstrationskultur

https://www.youtube.com/watch?v=4jbKb8wUI9I&feature=youtu.be

Demonstration inkl. Funfaktor, Bierkonsum, Festivalflair und Loveparade-Abhotting. Da lassen sich die Nöte derjenigen, die unter der Globalisierung und den Waffenexporten leiden, doch sehr gut in den Fokus rücken (Ironie aus).

Vielleicht bin ich ja allein auf weiter Flur mit meiner Skepsis, aber ich finde das schon recht widersprüchlich – irgendwie erinnert mich selbst die Demonstrationskultur an unsere Konditionierung im kapitalistischen System. Mitgefühl? Was ist das? Hip will man sein, sehen und gesehen werden, Spaß haben und die Alltagssorgen vergessen.
Wenn ich gegen die unsichtbaren Folgen der Konsumgutproduktion und Geldmaschine bin, die Politik kritisiere, die den Menschen ein bequemes Leben im Käfig der Manipulationsindustrie verspricht, solange sie nur fleißig ihre Steuern bezahlen und Mist kaufen, den sie eigentlich nicht brauchen, warum kann ich dann diese Kritik nur äußern, wenn man mir eine Plattform gibt, die mir Spaß und Hype verspricht?

Cornern gegen G20… Raven gegen G20… T-Shirts mit Aufdrucken, die cool rüberkommen? Ääähhh…

Ich ziehe heute auch ein Woodstock T-Shirt an, weil das Hippie-Feeling jetzt irgendwie gut zu meiner Grundstimmung passt. Aber ich hatte das Shirt schon im Schrank, weil ich vorher schon diese Haltung hatte. Ich bin jetzt nicht extra losgezogen, in einen hippen Schanzeladen geeiert und habe mir ein neues T-Shirt mit Anti-Trump-Aufdruck gekauft.

Ich hatte überlegt, ob ich die „Wachkoma-Performance“ zum Womens-March beitragen soll, wenn dort alle Frauen eintreffen.

Die grundsätzliche Idee, dass Frauen für die Kinder dieser Welt demonstrieren, finde ich großartig. Aber ich lasse mich nicht GEGEN eine Witzfigur instrumentalisieren, wenn ich eigentlich FÜR den Frieden eintreten möchte. So oberflächlich und flach denke ich nicht.

Trump ist nur ein Aufkleber, eine aufgebauschte Figur, gegen die sich aller Frust entladen kann. Das hat mit selbstverantwortlichem Demokratie-Einbringen nicht viel zu tun. Ganz im Gegenteil.

Da spielen alle „schwarzer Peter“ und wundern sich, wenn sich hinterher nichts verändert hat. Die Medien geben uns den Bösewicht, der an allem Schuld sein soll, und wir fragen nicht mehr weiter. Stempel drauf, gemeinsam rummotzen, Akte zu und weitermachen wie bisher. Ganz toll!

Ist diese Haltung nicht eigentlich antrainiert und Teil der Instrumentalisierung durch die Medien- und Werbeindustrie, die das gute alte Spiel von Kaufen, Konsumieren und Ruhigstellen durch Unterhaltung am Laufen hält? Wer aber kurbelt das alles eigentlich an durch den eigenen Konsum und die eigene Erwartungshaltung an das „alles frei Haus“-Leben, beschwert sich dann aber über „die da oben“?

Sind wir nicht fortwährend selbst ein entscheidender Teil des globalen ungerechten Systems, wenn wir unser Konsum-Verhalten nicht in Frage stellen? Irgendwie wissen wir doch alle, dass wir längst nicht alles wissen sollen, was da läuft in Afrika, im nahen Osten, an der Börse, auf der Krim und in den NATO-Hauptquartieren. Ooh, aber der Trump mit seiner Mauer und seinen Milliardenprofiten aus Waffenverkäufen, der ist ja der große, unberechenbare Bösewicht.

Was war noch einmal „Frontex“? Wohin werden unsere Waffen geliefert, weil Angela Merkel es befürwortet? Wo ist gerade die Cholera ausgebrochen? Und wieviele Zivilisten starben bislang in Mossul?

Was ist noch einmal ein sicheres Herkunftsland, und was ist mit den geheimen NATO-Armeen? Wo ist die Drohnen-Schaltzentrale der Amerikaner?

Erzähl mal der Mutter eines Cholera-erkrankten Kindes im Jemen, dass du lieber tanzt, als G20 zu befürworten. Du tanzt lieber, als dass du genauer hinsiehst, warum im Jemen lieber Waffen gekauft werden anstatt Reis?

Erzähl mal einem perspektivlosen Jugendlichen in Marokko, dass Terroristen und Islamisten besser gar nicht existieren sollten, wenn diese Leute die Einzigen sind, die ihm überhaupt eine Perspektive geben, wenn es auch keine besonders lustige Perspektive ist. Diese Jungs raven jedenfalls nicht in der Wüste, soviel sollte uns schon klar sein.

Warum das genau so ist, weißt du nicht? Und warum ist das so, dass wir das alle nicht so genau wissen? Kann es sein, dass die Nachrichten es nicht so genau vermitteln? Kann es sein, dass unsere Lieblingsserie zur selben Zeit läuft wie das Kabarett und irgendwie mehr Spaß macht?

Wer fördert den Terrorismus, um Diktatoren zu stürzen, die Pipelines in den Westen nicht befürworten? Wer tut nichts dagegen, dass Staaten Terroristen fördern, damit der eigene Waffenabsatz-Markt nicht gefährdet ist?

Ist es nicht unreflektiert, wenn wir selbst beim Demonstrieren in unseren eingeimpften Mustern bleiben und all diese Fragen nebensächlich bleiben?
Stellt jemand tiefgründige Fragen zu lauten Techno-Beats?
Diskutieren wir die Verbrechen gegen das Völkerrecht an der Kiosk-Ecke von Heinz oder Ali, wenn im Sommer die hübschen Mädels in Boutique-Röckchen vorbeischlendern? Also bitte, kommt schon!
Ich sage nicht, dass man das Leben nur dazu nutzen sollte, bierernst in die Gegend zu starren und alles stets zu hinterfragen.
Ich sage, dass gerade die Deutschen wieder lernen sollten, wie man das Leben feiert: „her mit der Freude, her mit der Musik, her mit den schönen Farben und den umblasenden Küssen, her mit den lustigen Clowns und den duftenden Speisen, her mit der Poesie und den durchtanzten Nächten. Her damit!“
Aber bitte immer auf den richtigen Anlass achten.
Der G20 Gipfel ist definitiv ein Anlass zur Kommunikation und Selbstkritik.

Die 1000 Gestalten haben das Motiv des Protestes dagegen sehr getroffen. Davon bin ich beeindruckt und fühle mit!!! (Link unten)

Sie zeigten zuallererst Selbstkritik, die Apathie des Konsumbürgers, der sich selbst und das Mitgefühl verlor, umherirrt und visionslos vor sich hinlebt.

Im Finale aber wird das Fenster geöffnet, Menschen begegnen sich, berühren sich, nehmen sich an die Hand und umarmen sich, schreien auch mal die Wut heraus und werfen ihre grau-verkrustete Einheitskleidung ab, freuen sich an ihrem Dasein und erlauben sich wieder, bunt zu sein, das Leben an sich heranzulassen und aus sich selbst heraus ihren eigenen und gemeinschaftlichen Ausdruck zu finden.

Wir müssen aufwachen und einander begegnen.

Wenn wir tanzen gehen, um zu demonstrieren, ohne uns vorher selbst zu betrachten, die Eigenverantwortung im System nicht erkennen, ist die Freude und auch der Ausdruck der Systemkritik hohl. So viele Menschen leiden unter der Lebensart, die ihre eigenen Schatten ignoriert, nur um „Spaß“ zu haben. Wenn wir vermeiden, den Neoliberalismus zu betrachten, haben wir nicht begriffen, wofür die Mächtigen stehen, die sich vordergründig den Problemen dieser Welt widmen wollen, obwohl sie selbst sie verursacht haben. „Lieber tanz ich als G20“ ? Dann sind wir weiterhin in der Tiefschlafphase und werden auch in unserem Protest nicht ernst genommen von jenen, die an den Schaltern sitzen.

Wenn wir aber gemeinsam betrachten, was zu all dem Horror in der Welt führt und führte und auch unsere eigenen kleinen Zahnräder darin erkennen, können wir in die gemeinschaftliche Eigenverantwortung kommen. Dann sind wir bereit für eine Veränderung, der immer eine Einsicht voransteht. Ohne Erkenntnis, keine Entpuppung.
Nehmen wir einmal das Bild von Millionen Raupen, die sich durch Reflektion und Mitgefühl erkennen, die zusammenrobben und durch die gegenseitige Wärme und Berührung ihre Kokons aufbrechen. Wenn wir uns erlauben, zu betrachten, wie bewegungslos und eingesponnen wir sind, entwickeln wir die Sehnsucht nach Freiheit, den Wunsch nach Gleichheit, der aus dem Sein und dem Herzen heraus entsteht und nicht nur aus einer Idee im Kopf. So können wir Schmetterlinge werden, die alles von oben betrachten, Blumen bestäuben und fliegen können. Wenn wir uns erlauben, schonungslos auf das Hässliche zu blicken, überschreiten wir die Grenze des Erträglichen – die Frustrationsgrenze – und sehen die Notwendigkeit, uns selbst zu verändern. Gemeinsam ist das leichter als allein.
Unser Konsumverhalten, unsere Unterhaltungs-Ablenkungs-Verdrängungsmechanismen, unsere Unreflektiertheit für die unreale Sicherheit, (denn das Leben ist nicht sicher, es ist von Veränderung durchdrungen) all das gibt den Mächtigen, die wir kritisieren, die Macht, zu tun, was sie tun…

All die lebensentfremdenden Dinge sind allein schwer zu überwinden, weil der kollektive Sog sehr stark ist.
Die Werbung, die Filmindustrie, die Printmedien: kaum etwas ist so wie es scheint.
Deshalb ist eine Community von Raupen, die sich gegenseitig helfen, in die Entpuppung zu gehen, so wichtig, denn je größer diese wird, desto größer wird auch ihr Sog sein, der in die Freiheit führt, die uns zuvor die schonungslose Erkenntnis abverlangt.

Aufwachen und Anstecken mit Lebendigkeit und Mitgefühl!!! Großartig. Kunst muss ein Fenster zeigen. Das ist ihre Mission.

https://1000gestalten.de/