warum Sprachen lernen, die man irgendwie nicht leiden kann?
Es ist nie verkehrt, eine neue Sprache zu lernen. Selbst dann, wenn man die Motivation hinter der Sprache als begrenzend empfindet. Selbst dann, wenn diese Sprache verwendet wird, um die Menschen plakativ zu betrachten. Selbst dann, wenn das Innenleben dieser Menschen für diese Sprache vorerst irrelevant ist.
Diese Sprache dient dazu, sich von den betrachteten Menschen abzugrenzen. Dies wird dadurch erreicht, dass die Beurteilten selbst diese Sprache nicht sprechen.
Wenn nämlich die neu erworbene Sprache notwendig ist, damit dieses Land erlaubt, dass man sich eingehender mit den Menschen befasst und nach den Hintergründen beziehungsweise Ursachen für deren Leid fragen darf, wird man sie lernen müssen, diese Sprache.
Spricht man diese Sprache nicht, darf man nicht öffentlich angeben, dass man Menschen versteht und ihnen vielleicht mit funktionierenden Methoden helfen kann, sich selbst zu helfen. Wenn diese Sprache der einzige Weg ist, offiziell als jemand zu gelten, der Menschen wissenschaftlich verstehen und aus diesem Verständnis heraus behandeln kann, wird demjenigen, der sich den Menschen zuwenden möchte, keine Wahl gelassen, als diese Sprache zu lernen.
Obwohl es mittlerweile Computerprogramme gibt, die diese Sprache beherrschen und die Kodierungen festlegen können…
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass das menschliche Gehirn einordnet, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das ist praktisch und sinnvoll, wenn es um praktische Dinge geht: „Wer hat zwei linke Hände und wer kann das Loch in die Wand bohren?“
Aber wenn es um das Körper-Geist-Seele-Zusammenspiel im Menschen geht, wird das Einordnen schwierig.
Menschen, die vielleicht an Symptomen leiden, die mitunter aus den systemrelevanten Umständen geboren wurden, (Zeitmangel, Leistungsdruck, Empathielosigkeit, Gleichmachung, Konkurrenz, Vereinsamung, Missbrauch, körperliche oder psychische Gewalt, Sinnlichkeits- und/oder Instinktverlust durch Medienkonsum und Technik) glauben, dass SIE es sind, mit denen etwas nicht stimmt und gehen zu einem Onkel Doktor für die Seele. Das System glaubt, bei den Mitgliedern der Gesellschaft, die nicht leistungs- und anpassungsfähig sind, läge das Problem.
Diese Sprache, die dazu dient, die Symptome einzuordnen und den Klienten an die richtige Adresse zu bringen, hat kein Interesse an den Ursachen. Diese Sprache benennt lediglich das, was sichtbar ist. Sie zeigt mit dem Finger in die Richtung, in der die Problematik im Kleinen sichtbar wird.
Warum das so ist?
Damit die Zuständigkeiten abgeklärt werden können; damit kalkulierbar wird, wieviele unnatürliche Medikamente die Industrie absetzen kann; damit Studien erhoben werden können, wie das soziologische Zusammenspiel das Gesundheitssystem belastet; damit jene, die als gebildeter gelten als die Masse, diese Sprache festlegen können, aber auch damit der ganze Apparat planbar wird.
Es gibt lange Wartelisten und mehr Bedarf als Angebot, weil die Vorschriften streng sind. Natürlich hat das eine sehr nachvollziehbare und richtige Bewandtnis. Mit Halbwissen auf komplexe Störungen einzugehen, ist fahrlässig. Und die Symptome richtig erkennen zu können, ist auch sehr wichtig, damit man das eigene Wissen eingrenzen und somit die eigenen Kompetenz-Grenzen festmachen kann.
Wozu aber eine Sprache, die es einem enorm schwer macht, zu verstehen, was eh schon kompliziert genug ist?
Eine weitere Vermutung von mir ist: Wer es nicht schafft, diese Sprache zu erlernen, egal ob und wie er sie vielleicht später beruflich anwendet oder nicht, hat nicht den Biss und das Zeug dazu, diesen Weg zu gehen, ist nicht anpassungsfähig an das System im System.
Das kennen wir ja alle schon aus der staatlichen Schule.
Die Geheimsprache wurde erfunden, damit derjenige, der die kleinen Hintergründe erfragt, auch Geld dafür bekommen, also davon leben kann. Das ist in vielen anderen Berufen auch nicht anders.
Die größeren Ursachen der Schwierigkeiten des kleinen Bürgers kommen in dieser Sprache nicht vor. Es wird vorausgesetzt, dass diese vom Einzelnen, zu meistern, einfach als gegeben hinzunehmen sind. Die Therapie soll dazu dienen, dass der Klient ausbalanciert, was von außen auf ihn einwirkt. Wenn das System unnatürliche Gesetze hat, die den inneren Naturgesetzen im Menschen widerstreben, wird vom Klienten verlangt, das aufzufangen UND das Problem in sich selbst und der eigenen Biografie zu vermuten, anstatt im gesellschaftlichen Kontext.
Wenn jemand vielleicht ebenso gut nach Hintergründen fragen, aber die Symptome zu klassifizieren nicht in der Lage ist, also die Sprache nicht sprechen kann, bekommt er nur dann auch Geld dafür, wenn der Hilfesuchende selbst dafür zahlen kann. Womit wir wieder bei der Zwei-Klassen-Gesellschaft angekommen wären. Die einen haben die Wahl, die anderen nicht, an wen sie sich wenden. Die Einen haben das Geld, die anderen haben es nicht.
Selbst der Mensch, der nicht zwischen reichen und armen Klienten unterscheiden möchte, hat ab einem bestimmten Punkt gar keine Wahl mehr. Auch er muss überleben und überlegen, wen er behandeln kann und wen nicht.
All das Lernen einer nicht besonders sympathischen Sprache ist notwendig, um helfen und selbst davon leben zu dürfen, dass man sich dieser Aufgabe widmet.
Man bezieht das Herkunfts-Familiensystem mit ein in den Prozess der „Heilung“, aber wie steht es mit dem System, in das sich das Familiensystem einfügen muss?
Welche familiären Probleme, welche individuellen Probleme, welche partnerschaftlichen Probleme, welche gesundheitlichen Probleme belasten das Gesundheitssystem nur deshalb, weil systemorganische Ursachen all diese Einzel-Zellprobleme zu einem sehr relevanten Teil mitverursacht haben?
Und warum betrachtet man dann die Symptomträger als problembehaftet, anstatt die Ursache und das eigentliche Problem im System zu suchen?
Warum werden die Symptomverursacher im System nicht dort genannt, wo Symptome behandelt werden sollen?
Wo verschieben sich große Probleme auf Einzelzellen im gesellschaftlichen Organismus?
Ist die Problematik nicht schon im Großen vorhanden? Würde man sie behandeln, hätten die Einzelzellen dann noch so viele Symptome?
Wer benennt die Kodierungen für das Gesamtkonzept?
Wo ist die Prävention?
Wo liegt die Verantwortung der Entscheider, und was sind deren Prioritäten?
Es geht immer um das Geld im System. Alles muss sich rentieren. Selbst Krankenhäuser wurden teilprivatisiert.
Selbst ein Todgeweihter, der nur noch an Maschinen überleben kann, wird an diese gefesselt und am Leben erhalten, wenn er keine Patientenverfügung im Schreibtisch liegen hat. Warum? Weil ein Tag an diesen Geräten dem Krankenhaus sehr viel Geld einbringt. Das System, das so etwas ermöglicht, setzt auch die Standards im therapeutischen Bereich. Dessen sollte man sich bewusst sein.
Nicht nur, dass diese Fragen meist nicht innerhalb des Systems gefragt werden, nein, man hebt den Symptomfeststellungskodex über die einfache Sprache. Man erschafft zwei Ebenen.
Wie in einem Parralleluniversum büffeln die Berufsanwärter das Vorgegebene, lernen die Sprache, die die Betroffenen nicht sprechen, um sich professionell untereinander austauschen und von den Problemen der Betroffenen privat abgrenzen zu können. Das Eine spart kostspielige Arbeitszeit, das Andere ermöglicht eine höhere Produktivität des Therapeuten. Wer sich besser abgrenzt braucht weniger Zeit, um sich wieder auf die eigene Realität zurückzubesinnen. Klingt erst einmal auch logisch und logistisch gut durchdacht.
Doch nun komme ich zum Kern meiner Abneigung gegen diese Sprache:
Man erschafft durch sie eine semantische Trennung.
Die Klassifizierung wird von offiziell zertifizierten Experten beherrscht.
Vor allem erst einmal, um zu wissen, wo sie NICHT helfen dürfen, weil Medikamente verschrieben gehören. Mit diesen Überschriften funktioniert der Gesundheitsapparat. Jene mit Berufsbezeichnung beraten dann jene, die zwar Begleitung brauchen aber doch die eigentlichen Experten für ihr eigenes Leben sind. Letztere Herangehensweise lernt man in therapeutischen Ausbildungen.
Methode und Therapie haben zum Gesetz, dass der Klient die Lösungen kennt. Und ich glaube sehr daran, dass dies funktionieren kann.
Trotzdem ist dieses Klassifizierungsmodell mit den Kürzeln, die später auf dem gelben Zettel stehen, fremd für mich. Irgendwie fällt es mir sehr schwer, beide Teilaspekte zusammenzubringen. Deshalb versuche ich mir zu erschließen, worum es mir denn geht, indem ich darüber schreibe.
Für mich ist da ein großer Widerspruch zwischen dem, was offiziell gesehen werden soll und dem, was in der Therapiereise hinter dem Verschwiegenheitsvorhang gesehen wird.
Haben jene, die das System zusammenbasteln ein Interesse daran, dass letztlich gesellschaftsübergreifend geheilt wird, oder verdient das Kapital der Pharma- und Krankenkassenlobby an immer wieder neu entfachten Symptomen und deren gesellschaftlichen Ursprüngen, die niemand im Rahmen der Therapie verändern kann?
Treibt der gesetzlich vorgeschriebe Therapie-Rahmen die Evolution des Zusammenlebens voran, oder trägt die Therapie dazu bei, dass systemrelevante Ursachen bestehen bleiben?
Wo in diesem ganzen Konstrukt steht der Therapeut?
Ich glaube, ein guter Therapeut darf niemals vergessen, dass es auch noch ein großes Bild gibt. Ein guter Therapeut muss wissen, dass die Wirklichkeit dicker ist als ein Taschenbuch voller Fachsprache und Störungsbilderfassung. Ein guter Therapeut muss das Vertrauen in das Leben haben, dass, egal wie sehr das Gesundheitssystem versucht, alles zu kontrollieren und Menschen wieder funktionstüchtig zu machen, es auch noch das Geburtsrecht auf das Glück eines jeden Einzelnen gibt, auf die Freiheit, nach seinen eigenen individuellen Herzensnormen zu entscheiden, was richtig für ihn ist. Ein guter Therapeut nutzt die Möglichkeit, den MENSCHEN, der vor ihm sitzt, auf dem Weg zu sich selbst und den eigenen Antworten zu begleiten.
Ich frage mich: wenn die kassenfinanzierte Therapie ermöglicht wird durch ein Raster, der Rahmen sozusagen geschaffen wird durch die Schublade, in die der Klient hineinpasst – auf Grund seiner Symptome, die Praxis der Therapie aber einer konträren Idee folgt, die sich auf die individuelle Leitlinien-Entwicklung fokussiert, die wiederum nicht unbedingt den allgemeinen Richtlinien von „ungestört“ und „gestört“ angepasst sein muss, hat das einen Einfluß auf den Erfolg der Therapie? Wirkt sich dieser Widerspruch auf den therapeutischen Raum aus? Beeinflusst der Rahmen der Therapieermöglichung die Zielsetzung des Klienten? Gibt es hier eine unsichtbare Wirkkraft?
Jede Intention hat eine Wirkkraft.
Ist die Intention des Therapeuten stärker als die der Therapie-Finanzierungs-Organe? Schließlich ist ein Kassentherapeut ja existenziell abhängig von diesem Apparat.
Welche Intention beeinflusst die Ausrichtung des Klienten, die ja schließlich das Leben des Klienten betrifft?Die der KAsse oder die des Therapeuten.
Oder sollte man besser sagen: der Blick des Therapeuten auf den Klienten hat eine Wirkkraft, die ohne Worte auszusprechen, beeinflusst?
In unserer Gesellschaft wird der Wert einer Dienstleistung, eines Produktes, eines Erfolges immernoch an finanziellen Größen gemessen. Das ist eine ziemlich große Wirkkraft, weil das kollektive Bewusstsein diese Werte-Vorstellung nährt.
Kann der Klient innerhalb eines solchen Rahmens in seine eigene positive Autorität kommen? Wird der Klient wieder gesellschaftsfähig gemacht oder findet er im Rahmen des vorgeschriebenen Zeitraums heraus, was für ihn selbst richtig ist?
Natürlich kann beides auch zusammenkommen, das Ziel also an Konformität und individuellen Werten gleichermaßen meßbar sein.
Ich frage mich aber, was wenn das nicht so ist? Was, wenn das Erreichen des eigenen Klienten-Ziels eine gewisse Verrücktheit braucht und die Gesellschaft das nicht so spritzig fände (ich spreche nicht von Gewalt aber zum Beispiel öfter einmal die Wahrheit zu sagen und vielleicht den Job dadurch verlieren zu können)? Das könnte unter Umständen ja eine neue Instabilität produzieren? Sollte man diesen Weg dann vermeiden?
Was, wenn jemand kifft, um abends zur Ruhe zu kommen? Früher hat er mehr getrunken und war aggressiver, heute ist er entspannter und hat keine körperlichen Auseinandersetzungen mehr. Sollte die Therapie dazu verwendet werden, ihn davon abzubringen, zum Beispiel stattdessen ein Buch zu lesen? Vielleicht würde der zeitliche Therapierahmen ja nicht ausreichen, um die Wurzel des Sucht-Problems herauszufiltern.
Was wenn der Klient eine gestörte Bindung zu seinem Vater hatte und Kinder nicht ausstehen kann, leider aber aus Versehen Vater wurde und nun sein Kind nicht besuchen möchte? Was, wenn er nur bei dem Therapeuten vorspricht, weil das Gericht dies angewiesen hat? Wäre es gut für das Kind, einem Vater zu begegnen, der es mit Abneigung betrachtet?
Was wenn die Herzensziele des Klienten nicht deckungsgleich sind mit den gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen?
Trotz all dieser Hinter-Fragen:
Warum glaube ich trotzdem, während ich mich mit der Sprache so kritisch auseinander setze, dass es grundsätzlich, also auch hier, lohnend ist, eine neue Sprache zu lernen?
Ich denke, es lohnt sich deshalb, weil man das Problem nur lösen kann, wenn man es von allen Seiten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Selbst die Perspektive des ungesunden Systems auf seine Leidtragenden, die pathologisiert werden, um die Schwachstellen des Systems nicht erkunden zu müssen, ist Teil des gesamten Problemgefüges.
Vielleicht lässt es sich auch nicht lösen. Vielleicht lässt sich nur ein anderer Umgang damit etablieren. Aber ohne bewusste Wahrnehmung und Entscheidung wird das nichts werden.
Wie oft sagen Therapeuten in Kliniken, dass eigentlich die Falschen behandelt werden? Dass eigentlich die empathielosen Chefs, die mobbenden Kollegen, die missbrauchenden Väter und Mütter in Therapie sein müssten. Aber es brechen oft jene zusammen, die unter der Last ungelöster und tabuisierter Gesellschaftsprobleme leiden, nicht jene, die diese mit verursachen. Sind nicht eigentlich jene die Stärkeren, die Schwäche zeigen können? Läge nicht dort die Chance, etwas zu verändern?
Auch wenn ich mir im Herzen sicher bin, dass diese Sprache nicht zu Ende gedacht ist, und auch wenn ich wünschte, es gäbe einen neuen psychologiebegeisterten Luther, der eine allgemeinverständliche Übersetzung des ICD10 schriebe, damit jeder es verstünde, begreife ich auch, dass wir uns in einem Evolutionsprozess befinden und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Und während ich darüber nachsinne, betrachte ich Hyroglyphen, die immer neue Fragen aufwerfen und mich mit meinem Forschergeist ausbremsen:
„Schau dir nur das Symptom an, nicht die Ursache, keine Lösungssuche, nur die Grundlage der Klassifizierung. Bäh!
Und trotzdem weiß ich noch lange nicht genug darüber, um mir ein letztes Urteil erlauben zu können.
Und ich gestehe mir ein: ich bin definitiv zu ungeduldig.
Mein bester Freund sagt immer: „es gibt Situationen, da gilt: ducken und die Fresse halten.“
Drum habe ich mir heute meinen Lernschrank eingerichtet, extra Fächer zurechtgesägt und 1000 Blankokärtchen hineingestellt, die jetzt darauf warten, beschrieben zu werden. Es kann losgehen!

Noch einmal zum Thema „normal und gestört“.
Man sagt, Dalis Sicht auf die Welt sei surreal. Trotzdem wird sein Werk hoch geschätzt. Dali ließ sich von der Prinzhorn-Sammlung inspirieren, die ausschließlich Kunst von psychisch Kranken zeigt.
Die Nazis nannten diese Kunst „entartet“.
Die Prinzhornsammlung befindet sich im Heidelberger Museum für Pathologische Kunst.
Im Surrealismus wird das Unterbewusste, Träumerische und Phantastische fokussiert. Das „Reale“ wird verändert betrachtet.
Hätte Dali solche Bilder gemalt, wenn er sich nicht für psychisch Kranke interessiert und intensiv mit ihrer Kunst auseinandergesetzt hätte?
Hätten die surrealistischen Maler diese Werke erschaffen, wenn sie drei Stunden oder mehr am Tag am Rechner gesessen und sich vom Netz der Möglichkeiten aufsaugen lassen, wenn sie den Lärm des täglichen Berufsverkehrs ertragen, die drängelnden Massen und zombihaften Handyglotzer in der Bahn wahrgenommen hätten? Oder hätten sie die Absurdität unserer Normalität dargestellt?
Ich liste einige berühmte Männer der Geschichte auf und beleuchte ihre psychischen Störungen:
Ludwig van Beethoven (1770-1827) Alkoholismus
Frederic Chopin (1810-1849) schizoide Persönlichkeit
Franz Liszt (1811-1866) Depression
Richard Wagner (1813-1883) hysteriform neurotisch
Albrecht Dürer (1471-1528) Melancholie
Vincent van Gogh (1853-1890) schizoaffektiv / bipolar
Edvard Munch (1863-1944) paranoide Schizophrenie
Pablo Picasso (1881-1973) Depression
Honore Balzac (1799-1850) manisch-depressiv
Charles Baudelaire (1821-1867) Alkoholismus
Wilhelm Busch (1832-1908) depressiv
Charles Dickens (1812-1870) manisch-depressiv
Fjodor Dostojewski (1821-1881) Epilepsie
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) manisch-depressiv & schizoid
Maxim Gorki (1868-1936) Alkoholismus
Friedrich Hölderlin (1770-1843) schizophren
Edgar Allan Poe (1809-1848) Alkoholismus
Immanuel Kant (1724-1804) schizoid
Jean Jaques Rousseau (1712-1778) Verfolgungswahn
Jean Paul Sartre (1905-1980) Drogenpsychose
Otto von Bismarck (1815-1898) manisch-depressiv
Winston S. Churchill (1874-1965) manisch-depressiv
Abraham Lincoln (1809-1865) periodisch depressiv
Napoleon Bonaparte (1769-1821) egozentrische Ichsucht
Josef Stalin (1878-1953) paranoide Persönlichkeitsstörung
Christoph Columbus (1447-1509) paranoischer Größenwahn
Charles Darwin (1809-1882) depressiv
Isaac Newton (1643-1727) Spätschizophrenie
Georges Danton (1759-1794) bipolare Störung
Jeanne d’Arc (1412-1431) paranoid-hallzuninatorische Psychose
Maximilian Robespierre (1758-1794) schizoide Persönlichkeit
Rainer Maria Rilkes große Liebe Lou Andreas-Salomé riet ihm von einer Therapie ab. Sie fürchtete, er könne künstlerisch verstummen. Rilke entschied sich gegen eine Therapie und betrachtete seine Dichtung als „eine Art Selbstbehandlung“. Ohne diesen Entschluß wäre uns das Werk Rilkes nicht geschenkt worden.
„Was ich hervorbringen durfte, dazu haben alle Elemente meines Daseins […] in unbeschreiblicher Gleichgesinnheit zusammengewirkt; Geist, Körper, Seele – […] und die Leistung ergab sich jedesmal an einem geheimnisvollen Höhepunkt ihrer Eintracht“ (Zitat Rilke)
Rilke therapierte sich selbst über das Schreiben und fand durch die Kunst eine neue, lebensbejahende Sicht auf sein Dasein.
Eine der bedeutendsten Künstlerinnen, die ich sehr verehre, war Camille Claudel. Ihr Leben endete in einer Irrenanstalt. Über ihre Krankengeschichte und den grausamen gesellschaftlichen Einfluss findet man bei Wikipedia folgende Zeilen:
„Vom Tod des Vaters am 2. März 1913 erhielt Camille keine Nachricht. Deswegen erschien sie auch nicht auf der Beerdigung. Da Camilles Vater, ihr letzter heimlicher Unterstützer und Verteidiger, nun tot war, beschlossen Camilles Mutter und ihr Bruder, Camille in eine psychiatrische Anstalt einweisen zu lassen. Einen Tag nach der Beerdigung ließ sich der Bruder von einem Dr. Michaux das Einweisungsattest ausstellen. Am 7. März riet der Direktor der Anstalt, das Attest, das er nicht für ausreichend hielt, zu ergänzen, wodurch die Einweisung verzögert wurde. Am Montag, dem 10. März 1913, wurde Camilles Wohnung aufgebrochen und sie selbst gegen ihren Willen in die Anstalt Ville-Évrard gebracht. Der für das Heim Ville-Évrard zuständige Arzt Dr. Truelle stellte ein zweites Attest aus, auf dem die gleichen Symptome wie auf dem vorherigen Attest beschrieben waren. Im September 1914 verlegte man Camille nach Montdevergues (Département Vaucluse) in Südfrankreich.
Camille Claudel verbrachte die letzten 30 Jahre ihres Lebens nahezu vergessen in psychiatrischen Anstalten, ohne ein weiteres Werk geschaffen und ohne je wieder Erfolg gehabt zu haben. Camille hätte die Anstalt laut Anstaltsleitung in den frühen 1920er Jahren verlassen können, doch lehnte die Mutter, die sie ebenso wie die Schwester in den Anstalten nie besucht hatte, die Entlassung entschieden ab.
Camille starb am 19. Oktober 1943 in Montdevergues an einem Schlaganfall, der ursächlich durch Unterernährung entstand. Sie wurde dort auch beerdigt.“
Ist berührende Kreativität möglich, wenn man Symptome nicht haben und wegmachen lassen will?
Gibt es vielleicht heute noch gesellschaftliche Normen, die herausragenden Persönlichkeiten Abnormalität attestieren?
Oder sind heute Persönlichkeiten wie Trump und Zuckerberg die neuen Vorreiter? Immerhin sind sie ja außerordentlich erfolgreich, während Menschen wie Assange oder Snowden lebenslange Haftstrafen oder Todesfolter drohen. Die Leute, die für Freiheit, Demokratie und Privatsphäre ihre Leben aufs Spiel setzen, werden kriminalisiert.
Die narzistische Persönlichkeitsstörung und die Arbeitssucht sind dieser Tage sogar ein Garant für Reichtum, Erfolg als Manager oder auf dem Aktienmarkt. Eine Unterschrift vom Nestlé Chef kostet massenweise Kinder das Leben, weil dieses Unternehmen den Ärmsten aus Äthiopien das letzte bisschen Wasser stiehlt, was sie noch haben.
Aber das Produktangebot dieses Unternehmens wächst, obwohl diese Tatsache bekannt ist. Würden die Menschen es als abnormal verstehen, würden sie andere Produkte konsumieren.
Wenn wir uns die Geschichte ansehen, waren die Ausnahmepersönlichkeiten oft „abnormal“.
Das ist ein offizieller Blick. Aber auch im Privaten lohnt es sich, diese Normalitäts-Optimierung zu hinterfragen.
Ist zwischenmenschliche Begegnung möglich, wenn man Störungen nicht haben will? Manche Naturvölker beten Mitglieder ihres Stammes an, wenn sie Geister sehen und hören können.
Ist der Perfektionswahn gesund für die Psyche?
Lernt man nicht aus den Krisen am meisten? Lernt man nicht am meisten, wenn man Fehler macht? Ist man nicht erst dann bereit, Veränderungen einzuleiten, wenn die Frustrationsgrenze überschritten wurde?
Ist diese Klassifizierungsbetrachtung richtig? Wird sie dem Menschen und auch seinen sozialen Potentialen gerecht?
Was ist dem sozialen Gefüge der menschlich sozialen Natur zuträglich, wenn man zum Beispiel von sozialen Störungen Einzelner spricht?
Ich weiß, dass ich sehr komplex wahrnehme und denke.
Ich weiß auch, dass ich mir das nicht abgewöhnen möchte, um mich besser anpassen zu können. Und ich weiß, dass dies keine Trotzreaktion sondern ein Ausdruck meiner Selbsttreue ist. Ich mache es mir dadurch natürlich nicht gerade leichter.
Ich weiß, dass der Masse die einfachen Antworten lieber sind. Und ich bin trotz diesen komplexen Fragen und allem, was mich darin auch emotional bewegt, ein Teil der Allgemeinheit.
Und ich bin noch nicht am Ende dieser Lernepisode angekommen. Momentan blockieren meine natürliche, immer wieder neu ansetzende Neugierde und mein liebevoll zugewandter Blick auf die Menschen die Aufnahme dieser hölzernen Sprache, für die man stets ein Lexikon parat haben muss. Aber ich stelle mich der Herausforderung.
Ich mag gerade die einfache Sprache, weil sie nichts verbergen kann. Es gibt, nach meinem Verständnis, nicht einen Menschen, der dem anderen gleicht. Diese Fachwörter strahlen einen vollkommen unempathischen Geist aus. Sie rationalisieren hochkomplexe, emotionale Erscheinungen. Sie vereinfachen etwas, das kompliziert ist und geben vor, viel Bedeutung in wichtig klingende, kurze Kombinationen aus Buchstaben hineinquetschen zu können.
Nein, ich mag das nicht. Ich bin ganz ehrlich. Es ist mir unsympathisch.
Aber ich bin neugierig darauf, was da noch so kommen wird.
Ich werde mir selbst all diesen Stoff in meine eigenen Worte umformulieren und versuchen, mir meinen liebevollen Blick zu bewahren.
Gerade da, wo man am meisten Widerstände in sich spürt, lohnt sich ein genauer weiterer Blick!
wie immer, werde ich berichten…
Eure Lina